4 Mythen über BDSM – Wissenschaft klärt auf!

von | Feb. 9, 2018 | Science

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In Fifty Shades of Grey wird Christian als gebrochener Mann mit einer schweren Kindheit dargestellt – f*cked up, wie es im Buch heißt. Er kann nicht anders, als Frauen zu dominieren und zu schlagen – nachdem er die unterwürfige Rolle selbst jahrelang bei Mrs. Robinson eingenommen hatte. Alles ganz schön krank? Aber wieviel hat das Buch mit der Realität zu tun?

Mythen über BDSM – Was sagt die Wissenschaft dazu?

Durch Zufall bin ich bei meiner Doktorarbeit über die „Sexuelle Zufriedenheit von Frauen in fester Partnerschaft“ über einen Artikel zum Thema BDSM (Wofür steht das eigentlich?) gestoßen und habe mal investigativ weiter geschaut… Schauen wir doch mal, was die aktuelle Forschungslandschaft dazu sagt.

Interessanterweise erkennt man in der Wissenschaft einen deutlichen Zuwachs an Interesse zu diesem Thema seit etwa 10 Jahren und die Publikationen werden vielschichtiger. Es geht nicht mehr nur um reine Häufigkeitsfeststellungen, sondern um die Psychologie dahinter, um die negativen (und positiven?) Aspekte. Eine ähnliche Entwicklung findet man auch in der Pornografieforschung – wer sich dafür interessiert, schaut am bestem mal in meinen Blogposts zum Thema Pornos vorbei.

Und jetzt wollen wir mal ein paar Mythen genauer unter die Lupe nehmen…

Mythos 1 – Wer BDSM macht, ist krank imd Kopf!

Über dieses Paper bin ich gestolpert, als ich den Artikel zum neuen Fifty Shades of Grey Film geschrieben hatte. In einer Studie von Joyal et al. (2015) wurden die psychologischen Charakteristika von Menschen mit einer Neigung zu BDSM untersucht. Dafür wurden 902 BDSMler berfragt und mit einer Kontrollgruppe von 434 Teilnehmern mit traditonelleren Sexualvorstellungen verglichen. Ergebnis: BDSMler sind nicht krank im Kopf. Interessanterweise konnten in dieser Studie BDSMlern sogar im Vergleich zur Kontrollgruppe günstigere psychologische Eigenschaften zugeschrieben werden. So stellten sie sich als weniger neurotisch und introvertiert heraus und zeigten höher Werte für Gewissenhaftigkeit und eine offene Einstellung zu neuen Erfahrungen. Außerdem waren sie bindungssicherer als die Kontrollgruppe und fühlten sich insgesamt besser. ABER: Die Unterschiede waren nur sehr gering. Was sagt uns das? Christian ist ein Ausnahmefall und nicht repräsentativ. Stattdessen sind Menschen mit BDSM-Fantasien genauso gesund wie Menschen mit traditionellen Sexualvorstellungen.

Mythos 2 – Die haben doch alle ein Kindheits-Trauma!

Passend zu diesem Mythos hatte Christian in Fifty Shades of Grey eine schlimme Kindheit. Basierend auf den traumatischen Erfahrungen haben sich seine BDSM-Präferenzen sofort entwickelt, sobald er erstmals mit Sexualität in Kontakt kam. Tatsächlich ist dies ein Klischee und entsprechende Neigungen stehen nicht gehäuft im Zusammenhang mit Kindheits-Traumata. Häufig entwickeln sich diese auch erst nach den ersten paar Jahren Erfahrung im Bereich Sexualität. In einer recht kleinen Studie von Pascoal et al. (2015) wurde für die erfasste Stichprobe ein Durchschnittsalter von 22 Jahren ermittelt, in dem die BDSM-Fantasien erstmals auftauchten. Bis zum Einbeziehen dieser Fantasien in die eigene Sexualität sind im Schnitt weitere 6 Jahre vergangen. Traumatische Erfahrungen werden nur selten mit dem Auftauchen der Fantasien in Zusammenhang gebracht.

Mythos 3 – Sowas stellt sich doch niemand vor!

BDSM-Fantasien sind verbreiteter, als man denkt. In einer Studie in Kanada von Joyal et al. (2015) wurden mehr als 1500 Leute zu ihren sexuellen Fantasien befragt. Insgesamt wurden 55 verschiedene Fantasien überprüft. Das eigene Interesse an den einzelnen Fantasien wurde auf einer 7er Skala bewertet: 0-auf gar keinen Fall, 1-nicht vorhanden, 2-sehr schwach, 3-schwach, 4-ein wenig, 5-moderat, 6-stark, 7-sehr stark. Das Ergebnis: Knapp 65 % der befragten Frauen haben sich schon einmal vorgestellt, dominiert zu werden. Mit einem Mittelwert von 3.79 gehörte diese Fantasie damit nicht nur zu den häufigen, sondern auch stärker ausgeprägten (zum Vergleich: eine der häufigsten Fantasien war „Sex an einem ungewöhnlichen Ort“. 82 % der Frauen haben diese Fantasie mit einem mittleren Interesse von 4.77). Umgekehrt gaben 60 % der Männer an, dass sie schon einmal dominante Fantasien hatten (mittleres Interesse 3.3). Und, was war wohl die stärkste Fantasie bei Männern? Sex mit zwei Frauen!

Ähnlich Ergebnisse zeigt eine ganz aktuelle Studie Holovet et al. (2017) aus Belgien mit 1027 Befragten. In dieser Studie gaben sogar 47 % an, bereits einer Aktivität nachgegangen zu sein, die im Zusammenhang mit BDSM steht. Darüber hinaus hatten weitere 22 % Fantasien in diesem Bereich. Fast 34 % gaben an, an BDSM-Praktiken interessiert zu sein. Für die jüngere Generation lagen die Werte dabei im Durchschnitt höher als für die ältere. Zumindest aktuell scheint das Interesse an dieser Thematik ziemlich hoch zu sein.

Die dargestellten Studien legen die Schlussfolgerung nahe, dass BDSM nicht als pathologisch/krankhaft gesehen werden kann, sondern eher als durchaus normale Freizeitaktivität zur Entspannung. Passend dazu haben Wiliams et al. (2016) in ihrer Studie untersucht, ob diese Bezeichnung zutrifft. Eine Umfrage unter 935 BDSMlern hat ergeben, dass BDSM-Aktivitäten insbesondere mit Entspannung und Stressabbau, Lustgewinn und positiven Emotionen in Zusammenhang standen. Außerdem spielten der Sinn nach Abenteuer, das Nutzen persönlicher Fähigkeiten und der Ausdruck des eigenen Selbsts eine Rolle. Als Fazit halten die Autoren eine Sichtweise von BDSM als angenehme Freizeitaktivität daher für gerechtfertigt.

Mythos 4 – Das kann doch keinen Spaß machen!

Gewalt und Liebe, passt das zusammen? Eine Studie von Sagarin et al. (2009) mit 58 SM-Praktikern sagt: JA. Wie auch andere sexuelle Aktivitäten, die in beiderseitigem Einvernehmen stattfinden, kann BDSM zu mehr Nähe und Intimität in der Beziehung führen. Eine Theorie besagt, dass durch das Abgeben der Kontrolle und Verantwortung die Basis geschafften wird, sich selbst in dem Moment zu verlieren. Störende und ablenkende Gedanken, die der Erregung im Weg stehen könnten, spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Diese Theorie wurde bereits von Baumeister (1988) aufgestellt und findet sich noch heute in den Erkenntnissen aktueller Studien wieder. So haben zum Beispiel die Männer aus der zweiten hier erwähnten Studie von Pascoal et al. (2015) weniger Probleme mit einem vorzeitigen Orgasmus, wenn sie BDSM-Aktivitäten nachgehen. Der Effekt auf die eigenen Gedanken? Möglich ist es.

Was lernen wir daraus?

So viel wir also Fifty Shades of Grey und all den folgenden Büchern als Impuls zur Diskussion zu verdanken haben, so sehr müssen wir die Darstellungen in diesen Büchern auch mit Vorsicht genießen. In einem Essay von Glyde (2015) wird genau diese Problematik angesporchen – und zwar aus Therapeutensicht! Denn gerade im therapeutischen Kontext ist es wichtig, keine falschen Stigmata aufrecht zu halten. Auch die kürzliche Überarbeitung der Diagnosekriterien für Paraphilien (sexuelle Neigung, die von der empirischen Norm abweicht) zeigt eine Weiterentwicklung in diesem Bereich. Mit Einführung der DSM-V werden Paraphilien nur noch als krankhaft bezeichnet, falls die betroffene Person dadurch einen Leidensdruck verspürt oder die Aktivitäten nicht sozial verträglich sind (mehr zu dieser Überarbeitung findet ihr auf Wikipedia).

Ihr könnt nun Dank des kurzen Wissenschaftsexkurses Mythen und Realität voneinander trennen und habt ein bisschen mehr Einblick in die Welt von Christian und Ana – und könnt die Beziehung der beiden in das richtige Licht rücken!

Da die Auseinandersetzung mit Sex-Lektüre in nächster Zeit eine meiner Haupttätigkeiten sein wird, werde ich euch regelmäßig erstaunliche Erkenntnisse präsentieren, die aktuell in der Wissenschaft kursieren.

UPDATE 2023. In der Tat war das eine meiner Haupttätigkeiten für die Doktorarbeit. Mehr als 800 Quellen habe ich zur Kenntnis genommen und in meinem Modell zur Sexuellen Zufriedenheit von Frauen in fester Partnerschaft verarbeitet. Ich weiß, der Blog ist in dieser Zeit etwas kurz gekommen, aber jetzt gibts die ganzen Erkenntnisse auch hier zu lesen. Dafür habe ich extra eine eigene Kategorie ins Leben gerufen, die sich mit der wissenschaftlichen Brille auf verschiedene Fragen beschäftigt. Viel Spaß beim Lesen!

Du hast spezifische Fragen? Oder Interesse an einem bestimmten Thema? Dann hinterlasse mir gerne einen Kommentar und ich werde mich darum kümmern!
Literatur

[1] Joyal, C.C., Cossette, A., & Lapierre, V. (2015). What Exactly Is an Unusual Sexual Fantasy? Journal of Sexual Medicine, 12(2), 328–340.

[2] Pascoal, P.M., Cardoso, D., & Henriques, R. (2015). Sexual satisfaction and distress in sexual functioning in a sample of the BDSM community: A comparison study between BDSM and non-BDSM contexts. The Journal of Sexual Medicine, 12(4), 1052–1061.

[3] Joyal, C.C., Cossette, A., & Lapierre, V. (2015). What Exactly Is an Unusual Sexual Fantasy? Journal of Sexual Medicine, 12(2), 328–340.

[4] Holvoet, L., Huys, W., Coppens, V., et al. (2017). Fifty Shades of Belgian Gray: The Prevalence of BDSM-Related Fantasies and Activities in the General Population. The Journal of Sexual Medicine, 14(9), 1152–1159.

[5] Williams, D., Prior, E.E., Alvarado, T., et al. (2016). Is Bondage and Discipline, Dominance and Submission, and Sadomasochism Recreational Leisure? A Descriptive Exploratory Investigation. The Journal of Sexual Medicine, 13(7), 1091–1094.

[6] Sagarin, B.J., Cutler, B., Cutler, N., et al. (2009). Hormonal changes and couple bonding in consensual sadomasochistic activity. Archives of Sexual Behavior, 38(2), 186–200.

[7] Baumeister, R.F. (1988). Masochism as escape from self. Journal of Sex Research, 25(1), 28–59.

[8] Glyde, T. (2015). BDSM: psychotherapy’s grey area. The Lancet. Psychiatry, 2(3), 211–213.

Foto: Kopytin Georgy / shutterstock.com

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